UNtransparenz und das Spiel des Narziss

Zwei Seelen wohnen, ach in meiner Brust. Einerseits gibt es Einiges in Byung-Chul Hans Essaybändchen Transparenzgesellschaft, dem beizupflichten ist, hier mal ein Zitat:

Bei Erfahrungen begegnet man dem Anderen. Bei Erlebnissen dagegen begegnet man überall sich selbst. Das narzisstische Subjekt kann sich selbst nicht abgrenzen. Die Grenzen seines Daseins verschwimmen. Dadurch entsteht auch kein stabiles Selbstbild. Das narzisstische Subjekt verschmilzt so sehr mit sich selbst, dass es nicht möglich ist, mit sich zu spielen. Der depressiv gewordene Narziss ertrinkt in seiner grenzenlosen Intimität zu sich. Keine Leere und Abwesenheit distanziert den Narziss von sich selbst.
Byung-Chul Han: Transparenzgesellschaft. Berlin: Matthes & Seitz, 2012 S. 6

Das ist eine treffende Beschreibung sowohl für die problematische Selbstverliebtheit unserer neoliberalen Konsumkultur, wirft aber auch die berechtigte Frage auf, wie sehr die aktuelle Begeisterung für social media weniger von dem Wunsch nach echter gegenseitiger Begegnung als vielmehr auch narzistisstischer Selbstaufwertung angetrieben sein kann. (Sascha Lobo nannte diesen Typus, der ein bißchen in uns allen steckt, kürzlich den digitalen Spießer.)

Wer im Bereich der Kunst unterwegs ist, weiß um die Wichtigkeit des Geheimnisses, dem Han ein kleines Loblied singt.

Wie er sich allerdings in die aktuelle Debatte um das buzzword Transparenz einschaltet, provoziert  Widerspruch: in einem Interview der FAZ „Alles wird schamloser und nackter“ offenbart sich dann nämlich doch der als linkstintellektuell getarnte konservative Abgrund seines Denkens. (Abgesehen davon, dass Han sich den Vorwurf gefallen lassen muss, sich bei seinen Texten irgendwie auch nur nach dem aktuellen Bedarf auf dem Markt (pseudo?)philosophischer Gesellschaftskritik zu richten – eben erst ging es bei ihm ja noch um unser aller  burn-out in der Müdigkeitsgesellschaft …) Aber ans Eingemachte – hier, was Han im Interview zur Piratenpartei zu sagen hat:

Die Piratenpartei als Partei der Transparenz setzt die Entwicklung zur Post-Politik fort, die einer Entpolitisierung gleichkommt. Sie ist die erste Partei ohne Farbe. Die Transparenz hat keine Farbe. Farben sind dort nicht als Ideologien, sondern nur als ideologiefreie Meinungen zugelassen. Als farblose Meinungspartei lässt sie das bereits Existierende unangetastet. Positiv ausgedrückt, ist die Piratenpartei in gewisser Hinsicht die zeitgemäße Partei, weil die Transparenzgesellschaft auch eine Meinungsgesellschaft ist. Hier weicht die Politik der Verwaltung gesellschaftlicher Bedürfnisse, die den Rahmen bereits vorhandener sozioökonomischer Verhältnisse unverändert lässt und darin verharrt. Die Piratenpartei ist nicht in der Lage, einen politischen Willen zu artikulieren und neue gesellschaftliche Koordinaten herzustellen. Die Liquid Democracy verkommt letzten Endes zu einer Demokratie des „Gefällt mir“-Buttons. Der Transparenz fehlt die Negativität, die das vorhandene politisch-ökonomische System in Frage stellen würde. Vielmehr stabilisiert sie das System.

Liquid Democracy mit Facebooks Like-Button gleichzusetzen, und als „Post-Politik“, zudem systemstabiliserend zu geißeln, statt als Versuch anzusehen, der Postdemokratie neue Formen des Handelns abzugewinnen, ist dann wohl doch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Auch hier regiert er also wieder: Der Simplex, der schon der Urheberrechtsdebatte so fatal kontaminiert; Vereinfachung und Negativität „verkaufen“ sich eben besser. Nicht nur bleibt dabei aber die wahre Komplexität der Problematik auf der Strecke – jeder Lösungsansatz wird auch gleich totgeschlagen. Vielleicht ist es nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts ja ganz gut, einmal  mit Meinungen anstatt gleich Ideologien zu experimentieren? Und was liegt hier eigentlich für eine komische Vorstellung vom Individuum vor? Welches „Selbstbild“ bitteschön ist oder muß „stabil“ sein? Vielleicht möchte man ja gerade Schwimmen im Identitätenmeer, nicht um sich nicht festlegen zu müssen, sondern weil man gerade im Bewusstsein um die eigene Unabgeschlossenheit das Spiel mit dem Anderseins trainieren und ausleben will?

Hier nämlich lauert die wirkliche Gefahr der Transparenz: Wo der Rollenspiele in den Gründerzeiten des Netzes nicht genug sein konnten, gilt es heute nicht mehr als schick, sich zu verschleiern. Sowieso rufen Kapitalismus als Spektakel und realexistierender Fiktionalismus naturgemäß eine Sehnsucht nach dem Authentischen hervor, das dann wieder seinerseits verfasst, vereigentumt und verkauft werden will. Ob es jedoch gegen Trolle geht oder um die eigene Identität in den sozialen Netzwerken: das größte Interesse an Identitätstransparenz haben die Big Player und social-media-Monetarisier, sind ihre Datensammlungen von mir /über mich doch wertlos, wenn sich die so generierte Werbung nicht eindeutig mit mir verbinden lässt. Dieses Transparenzdogma ist in der Tat gefährlich, denn, nochmal mit Sascha Lobo: „Die Messbarkeit des Sozialen wird mit der Aggressivität des Marktes vorangetrieben werden.“

Das Gegenmittel indes kennen die Theater, sind sie doch die Hüter des Spiels: „Sei nicht du selbst“, heißt es deshalb auf den Autorentheatertagen am DT Berlin; „Die Welt ist nicht durchsichtig“ behauptet das kommende Spielzeitmotto des Stadttheaters Gießen. Ich selbst treibe unter anderm deshalb schon länger mein Spiel mit Steffen & Lars.

Gegenbehauptungen müssen also aufgestellt werden, und zwar en masse. Wofür die neuen Mittel und Wege der Vernetzung schon hilfreich sein können. Denn in einer durchinszenierten und von Aufmerksamkeitsökonomie bestimmten Gesellschaft reicht der Ruf allein nach dem Authentischen und Transparenten nicht aus, die Fiktionen von Wirtschaft, Politik und Medien zu durchbrechen. Die Occupy-Bewegung hat das, wenn auch vielleicht unbewußt, verstanden: bevor man zurTat schreiten kann, muss man die herrschen Diskurse zunächst mit der Permanenz einer von vielen getragenen Gegenposition weichklopfen: „Es muss Alternativen geben zu dem, was ihr stets als alternativlos behauptet!“ Das ist die wichtige Gegenbehauptung von Occupy. Dass man noch zögerlich damit ist, diese Alternativen auch zu konkretisieren, also lieber erstmal auf andere Art „dicke Bretter“ bohrt, als die etablierte Politik, und sich vor der Totalitarismusfalle der Ideologien lieber hütet, sehe ich eher als Beweis, dass der Mensch doch manchmal aus Fehlern der Geschichte lernt. Aber man soll die Bewegung eben auch nicht überbewerten bzw. zu viel von ihr erwarten: Colin Crouchs These, Occupy hätte vielleicht bereits mehr erreicht als die 68er, darf man sicherlich als äußerst diskutabel bezeichnen.

Occupy wie die Piraten sind also Ausdruck eines Rufs nach einer anderen Transparenz politischer Prozesse, nämlich nach dem Ende der Hinterzimmerabmachungen, des postdemokratischen „Durchregierens“ und der Reduktion von Bürgerbeteiligung auf die überkommenen Mittel der repräsentativen Systeme. Diesen Ruf nach Transparenz mit den Interessen des Neoliberalismus gleichgesetzt zu haben, hat Han der Bewegung einen echten Bärendienst erwiesen. Ich kann mich Steffen Krafts Widerrede also nur anschließen:

Nicht die Hoffnung auf mehr Transparenz hat die Demokratie zur Technokratie gemacht, sondern die Weigerung selbst Progressiver, die Folgen der Informationstechnik auf den politischen Prozess zu bedenken. Darauf kann man natürlich mit einem Plädoyer für die Rückkehr der Politik in die Hinterzimmer reagieren. Eine freiere Gesellschaft lässt sich so freilich nicht schaffen.

Den-Teufel-an-die-Wand-zu-malen bzw. lieber nach weiteren Puzzleteilen in der großen Weltverschwörung, als nach Lösungen zu suchen, ist indes gerade unter Intellektuellen sehr beliebt. Dabei würden die heute wieder mehr auch als „Aktivisten“ gebraucht. Und zwar bitte auf andere Weise als Günther Grass.

Die Folge solcher Elaborate wie das von Byung-Chul Han ist nämlich leider: der Rückzug ins Nichthandeln. Schließlich hat man schon vorher gewußt, was hinterher wieder Falsches rauskommen wird (und muß nicht die Blamage des Scheiterns tragen). Da ist mir der Ausprobiergestus der Piraten, so „naiv“ er sich manchmal auch geben mag, deutlich sympathischer.

Denen sei dennoch zugerufen: „spielen“ mit sich und den anderen ist die notwendige andere Seite der politischen Münze – will man nicht unfreiwillig denjenigen Systemen in die Hände spielen, die man eigentlich verändern wollte.

Kommentare

Eine Antwort zu „UNtransparenz und das Spiel des Narziss“

  1. Harry Helfer

    Ja, ein bißchen mehr Transparenz werden wir aushalten müssen, ist sie doch schlicht ein Strukturales des Netzes, meint auch Sascha Lobo.